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Drei Strebepfeiler - Hochaltarretabel der Marienkirche

Object type:Altarfragment
Place of creation:Lüneburg
Date:um 1420-25
Measures:H: 56 cm, B: 9 cm, T: 6,3 cm
Material:Eiche (Kernbestand)
Ahorn (Mikroarchitektur der äußeren Fialenkränze)
Metall (Weichmetallapplikationen)
Technique:geschnitzt
gefasst (vergoldet)
gegossen
Style:Gotik
Die erhaltenen Architekturfragmente umfassen noch sieben Wangenstücke in Form von Strebepfeilern (Seiten- und Mittelstellung) aus den Gefachen der Innenseiten der inneren Drehflügel (Inv.Nr. 1201d-k) und drei in ihrem Aufbau leicht abweichende, jedoch höhengleiche Gegenstücke (Seiten- und Mittelstellung) aus der Predellenzone (Inv.Nr. 1201a-c). Ihr überaus reich durchgebildeter, feingliedriger Aufbau führt dabei charakteristische Elemente aus der hochgotischen Kathedralarchitektur gleichsam in Miniaturform vor. So bestehen die Wangenstücke aus geschoßweise sich verjüngenden Riesen, die von mehreren Fialenkränzen mit zum Teil zwischengeschalteten Wimpergen und Blendnischen, Kaffgesimsen und Wasserschlägen umgeben sind. Den oberen Abschluß bilden auf kannelierten Schäften sitzende üppige Blattkapitelle, während seitlich vorkragende, ähnlich geschmückte Blattkonsolen die dreiseitig gebrochenen Maßwerkbaldachine der anschließenden Gefache aufnehmen.
Eine Besonderheit der Wangenstücke und Baldachine besteht darin, daß in der Mikroarchitektur des Strebewerks neben Eichenholz Versatzstücke aus unterschiedlichen Materialien zur Anwendung gekommen sind. So sind die zierlichen Fialen aus Ahornholz und die Maßwerkstrebebögen sowie die oberen Wimpergkränze aus gegossenem Weichmetall gebildet. Alle Architekturelemente besitzen seitlich oder rückwärtig kalligraphisch exakt mit schwarzer Farbe aufgetragene Versatzmarken in Form römischer Zahlzeichen, die die ursprüngliche Positionierung im Retabel erschließbar machen. Zusätzlich kommen auf den Leimfugen der Baldachine von Stück zu Stück variierende Paßmarken hinzu, die mit dem Schnitzmesser beziehungsweise dem Stechzirkel angebracht worden sind.

Schrein und Innenseite der inneren Drehflügel, deren äußere Abmessungen (H. ca. 190 cm, B. ca. 340 bzw. 170 cm) bekannt sind, besaßen jeweils drei verschieden hohe Register übereinander, von denen das mittlere am höchsten war und links und rechts des breiteren Schreinzentrums (mit der Marienkrönung) je sieben identische Gefache (mit einer Verkündigungsgruppe, den Aposteln Petrus, Jakobus maior, Andreas, Thomas und Matthäus einerseits und mit den Aposteln Paulus, Johannes, Simon, Philippus, Bartholomäus und Matthias sowie dem Hl. Olav andererseits) enthielt. Aus dieser Zone sind keine Fragmente erhalten. Das nächsthöhere, untere Register, das die gleiche Höhe wie die Predella aufwies (lichte H.56 cm), zeigte wiederum links und rechts der breiteren Mitte (mit dem Schmerzensmann zwischen zwei Engeln mit den Arma Christi) je sieben Gefache (mit je sieben weiblichen Heiligen). Aus dieser Zone müssen die Wangenstücke Inv.Nr. 1201d-k (Versatzmarken "i, ii, v, xiiii, xv, xvi, xvii") sowie die Baldachine Inv.Nr. 1203b, d, f (Versatzmarken "xv, xvi, xvii") stammen. Das niedrigste, obere Register enthielt links und rechts der Mitte (mit der Taufe Christi im Jordan) je neun Gefache (mit Heiligen). Aus diesem Bereich dürfte sich nur der Baldachin Inv.Nr. 1203a (Versatzmarke "iiii") erhalten haben. Die Baldachine Inv.Nr. 1204a, c-d (Versatzmarken "iiii, vii, viii") gehörten in die Predella, der Baldachin Inv.Nr. 1204b (Versatzmarke "xii") und die Wangenstücke Inv.Nr. 1201a-c (Versatzmarken "ix, x, xii") in den rechten Predellenflügel.

Eine Vorstellung vom ursprünglichen Aussehen des Hochaltarretabels der Marienkirche vermittelt eine 1852 - also unmittelbar nach der Wiederherstellung - veröffentlichte rekonstruierende Beschreibung: (...) "Ein 12 Fuß breiter Schrank war mit doppelten Thüren versehen und stand, auf einer Prädelle mit einfachen Thüren, auf dem Altartische. Waren die sämmtlichen Thüren zu, so sah man gemalte Bilder, von denen Nichts erhalten ist, als die eine Thür der Prädelle, worauf fünf Brustbilder von heiligen Frauen dargestellt sind. Wurden die ersten Thüren des Schranks geöffnet, so zeigte sich an den innern Wänden dieser äußern Thüren und den äußern Wänden der innern Thüren eine im Ganzen 25 Fuß breite Fläche, in 22 [richtig 24] Felder abgetheilt, worauf verschiedene Momente aus dem Leben des Herrn und der Jungfrau Maria in kleinen vergoldeten und gemalten Holzreliefs dargestellt waren. Wurden die Thüren der Prädelle geöffnet, so sah man an den innern Wänden dieser Thüren und in der Prädelle selbst zwölf ähnliche Felder mit ähnlichen Darstellungen. Das Ganze enthielt also in drei Reihen Felder unter einander, in jeder Reihe zwölf, im Ganzen 36. Wurden dann von dem obern Hauptschrank die innern Thüren geöffnet, so zeigte sich eine prächtig reiche Architektur in vergoldetem Holzschnitzwerk, worin die silbernen Figuren von verschiedener Größe unter Baldachinen standen. " (Hauptaltar 1852; vgl. Milde 1, S. 58; Bruns 1904, S. 173).

Das 1425 vollständig ausgestattete Hochaltarretabel der Marienkirche unterschied sich nicht nur materiell, hinsichtlich seiner überaus prachtvollen Festtagsseite, deren Ausstattung mit insgesamt 92 Silberfiguren sowohl an den älteren, verlorenen Hochaltaraufsatz des Münsteraner Domes als auch an die etwas jüngere Lüneburger Goldene Tafel (vgl. Einem 1929, bes. Taf. 1-2) denken läßt, von gewöhnlichen norddeutschen Schnitzretabeln der Zeit um 1425. Auch die Formensprache der Gefachrahmungen mit ihrer erstaunlich sorgfältigen Detailausbildung in der Art einer Mikroarchitektur, die aus zahllosen kleinen und kleinsten Versatzstücken zusammengebaut worden ist, erinnert in hohem Maße an Goldschmiedearbeiten. Die vollkommene Präzision und metallisch harte Ausbildung aller Einzelteile, die üppige Verwendung von Goldauflagen ohne die in Lübeck üblichen blauen und roten Absetzungen der Kehlen, nicht zuletzt aber auch die Inanspruchnahme von Ahornholz für die filigranen Zierrate weist auf ein Importstück hin, das aus derselben Werkstatt bezogen wurde, die auch für die Lüneburger Goldene Tafel tätig war. An den beiden im Hannoveraner Landesmuseum erhaltenen Kastenflügeln finden sich nahezu identische Detailformen bis hin zu den ungewöhnlichen, die Architektur ergänzenden Metallapplikationen wieder. Nicht zuletzt der Einsatz von hartem Birnbaumholz (anstelle von Ahorn) für besonders kleinteilige Schnitzarbeiten ist dort greifbar. Die nicht die hohe künstlerische Qualität der Architekturfragmente erreichenden figürlichen Holzreliefs der ersten Wandlung und die Malereien der Flügelaußenseiten dürften - ähnlich wie die sehr heterogenen Silberfiguren - hingegen wohl erst in Lübeck hinzugekommen sein.

Nach Albrecht: 2005, Kat. Nr. 31

Inventory Number: 1201a-c

Signature: Versatzmarke (Rückseite: ix; x; xii)

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