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Vorder- und Rückseite einer Mitteltafel vom älteren Retabel der Bergenfahrer

Objektbezeichnung:Altarfragment
Sachgruppe:7. Altarschreine
Künstler:
Lübecker Schüler des Conrad von Soest
Ort:Lübeck
Datierung:um 1410
Maße:H: 132,5 cm, B: 40 cm (ohne Ergänzungen und Rahmen)
Material:Eiche (mit Leinwand bezogen)
Technik:Mischtechnik (auf Kreidegrund, Goldgrund)
Stil:Gotik
Die doppelansichtige Tafel zeigt auf ihrer Innenseite das Fragment einer vielfigurigen Kreuzigung Christi mit dem guten Schächer, der Longinusgruppe und den zu Boden gesunkenen Marien, auf ihrer Rückseite einen Ausschnitt aus der Versuchung des Hl. Nikolaus mit dem unter einer Baldachinarchitektur thronenden Bischof.
Der rechte Kreuzesbalken mit dem Ansatz der Finger Christi ist so hart am oberen Bildrand der Tafel dargestellt, daß der (verlorene) Kreuzesstamm - wie bei Kompositionen von vor allem mittelrheinischen und westfälischen Passionsretabeln um 1400 nicht untypisch (vgl. etwa das Obersteiner Retabel oder auch das Wildunger Retabel Conrads von Soests) - sicherlich nur verkürzt angegeben werden konnte. Das gewichtige ikonographische Thema läßt es in Übereinstimmung mit den genannten Vergleichswerken nicht zu, in dem Gemäldefragment den Rest eines Retabelflügels zu sehen, sondern vielmehr das Relikt einer zentralen Altartafel.
Links unten am Bildrand der Tafelrückseite erblickt man die Krallen eines Fußes, die zusammen mit dem winzigen Rest einer roten Stoffbahn in halber Tafelhöhe auf die Szene der Begegnung des Hl. Nikolaus mit dem vom Teufel besessenen Weib hinweisen, das im Zentrum dieser Seite dargestellt war. Darauf bezogen die Inschrift mit den Anfangsworten des 119. Psalms auf den aufgeschlagenen Buchseiten im Schoß des Bischofs: Beati inmaculati in [via] qui ambula[n]t [in] lege domini ("Wohl denen, die ohne Tadel leben, die im Gesetz des Herrn wandeln").

Die Malerei der Tafelinnenseite mit der Darstellung der Kreuzigung Christi schließt sich unverkennbar an die Mittelszene des Wildunger Retabels von 1403 an, das inschriftlich Conrad von Soest als Künstler ausweist. "An diesem Altar scheint der Lübecker Schüler mitgearbeitet zu haben, bevor er sich, wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem Auftrag für die Bildfenster im Chor der Burgkirche, in Lübeck niederließ"(Wittstock, S. 90). Der deutliche ikonographische und kompositorische Bezug erhärtet die Beobachtung, daß wir es - entgegen älteren Annahmen - im Falle der Kreuzigungsszene nicht etwa mit einer seitlichen Flügeldarstellung, sondern wohl mit dem prominenten Fragment der Mitteltafel eines doppelansichtigen reinen Gemälderetabels zu tun haben, wie es bis zu diesem Zeitpunkt in Lübeck nicht vorkam. Dessen einstige Aufstellung muß einen Anblick von beiden Seiten ermöglicht haben. Die Kapelle der Bergenfahrer, deren Schutzpatron u.a. der Hl. Nikolaus war, zwischen den Westtürmen von St. Marien dürfte diesem Umstand Rechnung getragen haben. Die spezifische, Brokat imitierende halbtransparente Malweise kehrt in Lübeck auf den Gemäldeflügeln des Retabels der Zirkelgesellschaft (Inv.Nr. 1926-312) und auf der ebenfalls dem Conrad von Soest-Schüler zugeschriebenen Tafel aus der Marienkirche (Inv.Nr. 137-138) wieder und findet im weiteren norddeutschen Raum Entsprechungen insbesondere im Oeuvre Meister Franckes (vgl. etwa das 1424 in Auftrag gegebene Englandfahrer-Retabel aus der Hamburger St. Johanniskirche, jetzt in der Kunsthalle zu Hamburg), der seinerseits aus der Begegnung mit Conrad von Soest und der westfälischen Malerei des frühen 15. Jahrhunderts schöpft.

Aus: Albrecht 2005, Kat. Nr. 28

Literatur:
  • Albrecht, Uwe: Corpus der mittelalterlichen Holzskulptur in Schleswig-Holstein, 1 Hansestadt Lübeck, St. Annen-Museum, Kiel: Verlag Ludwig, 2005
  • Hasse, Max: Lübecker Museumsführer, I Die sakralen Werke des Mittelalters, Sankt Annen-Museum, Lübeck, 1970 (1964)
  • Rohde, Alfred: Die Ausklänge des Bertramschen und die Vorbedingungen des Frankeschen Stiles im Norden, in: Monatshefte für Kunstwissenschaft, 1920, S. 225-233
  • Stange, Alfred: Deutsche Malerei der Gotik, III Die Zeit von 1400 bis 1450, Berlin, 1938
  • Stange, Alfred: Kritisches Verzeichnis der deutschen Tafelbilder vor Dürer, I, München, 1967
  • Neitzert, G.: Der Peter- und Pauls- Altar der St. Lamberti-Kirche in Hildesheim, in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte, VI, 1967, S. 127-166
  • Wittstock, Jürgen: Neuerwerbungen für die mittelalterliche Sammlung des Museums für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck 1976/77., in: Zeitschrift des Vereins für lübeckische Geschichte und Altertumskunde, LVIII, 1978, S. 103-110
  • Denkmalrat: Petrikirche. Marienkirche. Heil.-Geist-Hospital (Die Bau und Kunstdenkmäler der Freien und Hansestadt Lübeck, II), Lübeck, 1906
  • Schwaerzel, Petra: Das gotische Retabel der Felsenkirche in Oberstein, in: Zs. für Kunsttechnologie und Konservierung, Jg. 14, 2000, S. 351-377

Inventarnummer: 1912-2

Signatur: Inschrift (aufgeschlagene Buchseiten im Schoß des Bischofs: Beati inmaculati in [via] qui ambula[n]t [in] lege domini ("Wohl denen, die ohne Tadel leben, die im Gesetz des Herrn wandeln", Beginn des 119. Psalms))

Signatur: Inschrift (Nimbus Hl. Nikolaus: Sanctus nycolaus [episc]opus)

Signatur: Inschrift (Nimben Marias: maria salom[e], sancta maria und sancta maria ia[cobi])

Abbildungsrechte: St. Annen-Museum


Ikonographie:     
Kreuzigung
     
Nikolaus von Myra