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Eierwärmer

Objektbezeichnung:Eierwärmer
Hersteller:Toschka
Ort:Deutschland
Datierung:1950er Jahre
Maße:H: 8,8 cm
Material:Kunstfaser
Technik:maschinell genäht
Eierwärmer gehören zu der Sorte Erfindungen, die für das menschliche Überleben keine zwingende Notwendigkeit besitzen. Doch vermutlich genau deswegen erfreuen sie sich seit Jahrzehnten anhaltender Beliebtheit, mutet die Verhinderung des Abkühlens eines gekochten Eis mittels eines dekorativen Häubchens doch wie ein „kleiner Luxus“ im bescheidenen Alltagsleben an und verleiht der schlichten aber gepflegten Tischkultur eine heiter-spielerische Note. Dies findet insbesondere unter dem vorherrschenden „gutbürgerlichen“ Zeitgeist der 1950er Jahre in bundesrepublikanischen Haushalten Anklang, als die Ernährungssorgen der unmittelbaren Nachkriegsjahre ein für alle mal überwunden scheinen, ein Ideal „privaten häuslichen Glücks“ auf breiter Basis als erstrebenswert angesehen wird und unbeschwerter Konsum als Motor eines in der Realisation begriffenen „Wirtschaftswunders“ gilt.
So ist auch dieser Eierwärmer nicht als Unikat in privater Handarbeit, sondern industriell in Massenauflage gefertigt. Ein angehängtes Pappsiegel mit Wertigkeit vorgebender dynamischer Goldschrift weist das Häubchen als ein mustergesetzlich geschütztes Erzeugnis des Herstellers Toschka und somit als bundesdeutsches Qualitätsprodukt aus. Und diese Qualität äußert sich insbesondere über die schlichte wie praktische Formgebung, die der Außenkontur eines Eis angepasst ist, sowie über die für Fortschrittlichkeit einstehende Materialität und Bemusterung: Drei in Form von Bischofsmützen konturierte Stücke aus abwaschbarer und somit hygienischer Synthetikfaser sind jeweils an den bogenförmigen, gezackten Kanten miteinander vernäht. Dadurch lässt sich die Haube sowohl aufschlagen und über ein Ei stülpen als auch durch das Einknicken einer der Flächen bequem wieder zusammenfalten und raumsparend deponieren. Neben diesen durch Schlichtheit und Pflegeleichtigkeit bestimmten technisch simplen wie überzeugenden praktischen Vorzügen weiß dieses Objekt durch sein abstraktes Textildekor Modernismus und Weltgewandtheit vorzugeben: Eine luftig freie Komposition aus grasgrünen gestrichelten Schlangenlinien, hellblauen und rosafarbenen Spiralmustern und gezackten Halbmonden in der gleichen pastelligen Farbigkeit auf weißem Grund lässt eindeutige Anklänge an abstrakte Malerei der 1. Hälfte bzw. der Mitte des 20. Jahrhunderts erkennen. Wurden derartige Kunstströmungen während der zurückliegenden Zeit der nationalsozialistischen Diktatur als „entartet“ verfemt, so gelten sie nun etwas verspätet - gleichsam im Zuge eines demonstrativen Abschließens mit der NS-Vergangenheit und eines bemühten kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Anschlusses an die westliche Weltgemeinschaft - als Ausdruck von Avantgardismus und Internationalismus. Werke von Klee, Picasso, Matisse oder Miró werden nicht nur in auflagenstarken Kunstdrucken reproduziert und scharenweise von Epigonen kopiert und zitiert, sie dienen in der „Nierentisch-Ära“ auch als Inspirationsquelle und Vorbild für Gebrauchsgraphik aller Art, für alle nur erdenklichen Produkte: Von der Tapete bis zum Lampenschirm, vom Vorhang bis zum Wandteppich, vom Buchumschlag bis zum Eierwärmer; - die zur gesellschaftlichen Leitlinie erhobene Aufbruchsstimmung und Weltorientierung einer noch jungen freiheitlich-demokratischen Zivil- und aufstrebenden Konsumgesellschaft soll allerorts spürbar sein.

Inventarnummer: 2008VK613

Signatur: Firmenschild (angehängt: "Ein Toschka Erzeugnis / Mustergesetzlich geschützt")

Abbildungsrechte: Freilichtmuseum Molfsee - Landesmuseum für Volkskunde